Mit Michael Bry, Alina Buga, Peter Dorn und Annette Lucks vereint die Ausstellung „Hier und Jetzt“ im Kunstforum Ostdeutsche Galerie vier unterschiedliche künstlerische Ansätze. Peter Dorn schafft mit vorgefundenen Alltagsmaterialien abstrakte Strukturen und verleiht ihnen eine ästhetische Qualität. Michael Bry gelingt es in seinen Schwarz-Weiß-Fotografien besondere Augenblicke in zwischenmenschlichen Begegnungen sowie in der Natur festzuhalten. Mensch und Natur tauchen auch bei Annette Lucks auf. Sie bewegt sich jedoch absichtlich weg vom realistischen Abbilden und findet in einer unverbildeten Darstellungsweise Ausdruck für vielschichtige innere Bilder. Alina Buga nähert sich grundsätzlichen Fragen unserer Zeit mit den Mitteln der Konzeptkunst. Ihre breit angelegten Projekte umfassen neben dem künstlerischen Akt auch Recherchearbeit, die sie in theoretische Texte einfließen lässt.
Bereits beim ersten Blick in den Ausstellungssaal fällt die Dynamik ins Auge, die sich aus der unterschiedlichen Wirkung und Präsentation der Kunstwerke ergibt. Während die Fotografien von Michael Bry sowie die Materialcollagen von Peter Dorn auf Augenhöhe einer Linie folgen, breiten sich die beiden mehrteiligen Arbeiten von Annette Lucks – eine Zusammenstellung von 22 Keramikgefäßen und eine Malerei auf sieben Leinwänden – weit nach oben auf der zehn Meter hohen Wand aus. Ausgehend von Dorns luftiger Installation „Linea XI“ aus Holzleisten ergibt sich eine wellenartige Bewegung, die mit den hoch gehängten Fotografien aus der Serie „Pipeline“ von Alina Buga ausschwingt.
Die Präsentation lädt dazu ein, nicht nur jede der künstlerischen Positionen für sich zu erkunden, sondern auch Parallelen in der äußeren Form zu entdecken oder inhaltliche Zusammenhänge zu verfolgen. Grundlage für die Gegenüberstellung ist die Programmatik des Kunstforums Ostdeutsche Galerie mit Fokus auf der Kunst im östlichen Europa. Die Biografien sowohl von Michael Bry und Peter Dorn als auch von Annette Lucks und Alina Buga sind geprägt von den Knotenpunkten europäischer Geschichte des 20. Jahrhunderts im mittel- und südosteuropäischen Raum. Gemeinsam ist den Künstlerinnen und Künstlern neben dem Bezug zum östlichen Europa, dass alle vier für kurz oder lang in Regensburg ihre Heimat gefunden haben.
Biografisches vor dem Hintergrund der Geschichte
Michael Bry wurde 1924 in Breslau geboren. Die Stadt gehörte damals zur Weimarer Republik. Als 1938 die von den Nationalsozialisten ausgehenden Anfeindungen und Gewalttaten gegen die jüdische Bevölkerung eskalierten, flüchtete der damals 14-Jährige mit seinen Eltern zunächst in die Tschechoslowakei und dann weiter nach Chile. Im gleichen Jahr kam Peter Dorn im nordböhmischen Aussig auf die Welt. Im Herbst 1938 wurde die Tschechoslowakei durch das Münchner Abkommen gezwungen, das gesamte mehrheitlich deutsch besiedelte Sudetenland, wozu auch Aussig gehörte, an Hitler abzutreten. Der Plan von Frankreich, Großbritannien und Italien, Hitler auf diese Weise zu beschwichtigen und den Krieg zu verhindern, ging allerdings nicht auf. Der Hass gegen die Deutschen traf nach dem Zweiten Weltkrieg auch Dorns Familie. Aus der Tschechoslowakei ausgewiesen kam sie schließlich 1949 nach Regensburg und wurde in der Kaserne in der Zeißstraße untergebracht. Hierher kamen Vertriebene und Geflüchtete aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien, dem Sudetenland und Thüringen und lebten ein Jahrzehnt lang zusammen. So erinnert sich Annette Lucks, geboren 1952 in Regensburg, die ebenfalls in der Flüchtlingsunterkunft aufgewachsen ist. Während sich der Westen von den Folgen des Nationalsozialismus und des Krieges erholte, versank der Ostblock unter sowjetischer Vorherrschaft für 40 Jahre in der sozialistischen Diktatur. Als 1989 der Eiserne Vorhang fiel, war Alina Buga gerade 19 Jahre alt. Sie gehört zur ersten Generation von Kunstschaffenden in Rumänien, die sich nach dem Sturz des kommunistischen Diktators Nicolae Ceaușescu unbehelligt ausdrücken konnten.
Michael Bry: Hier und Jetzt
Michael Bry (*1924 Breslau, heute Wrocław/Polen) kam 2005 im Alter von 80 Jahren nach Regensburg, zuvor lebte er lange Zeit in Süd- und Nordamerika. Nach der Flucht 1938 hatte sich Brys Familie in Santiago de Chile niedergelassen, wo er später auch an der Academia Chilena de Bellas Artes studierte. Zugleich absolvierte er eine Ausbildung bei einem Fotografen und eröffnete ein eigenes Porträtstudio. Um die Mitte der 1950er Jahre zog Bry in die USA, wo er sich 1960 in der Bucht von San Francisco als Fotograf selbstständig machte. Nach dreißig Jahren kehrte er nach Europa zurück und lebte unter anderem in Spanien und Portugal.
Die 18 ausgestellten Fotografien stammen aus dem umfangreichen Bestand des KOG. 2005 hatte Michael Bry dem Museum seinen Vorlass anvertraut. Der Fokus der Auswahl liegt auf Brys Schaffen in Kalifornien. Den US-amerikanischen Motiven sind sechs Beispiele aus der Serie „Cuba 1960“ gegenübergestellt. Meist sind es Menschen in ihrem Alltag oder besondere Entdeckungen in der Natur, die Bry auf schwarz-weißem Filmstreifen aufnimmt. Bry beherrscht nicht nur die technische Seite perfekt, sondern hat insbesondere ein Auge für das Einzigartige des Moments, für das „Hier und Jetzt“. Die Komposition und die Wahl des Blickwinkels unterstreichen die Botschaft des Bildes. So rückt Bry auf dem Foto „24th Street, San Francisco, ,Mr. Crunchʻ“ von 1980 einen Hund in den Mittelpunkt, indem er sich mit der Kamera auf dessen Höhe begibt. Die jungen Männer hinter ihm zeigt er aus der „Hundeperspektive“, also von unten. Zu einem Foto, das 1967 in Berkeley entstanden ist, schreibt er auf der Rückseite „Blumenkinder und Cops“. Eine intensive Begegnung in der Stadt, die in den 1960er und 1970er Jahren als Zentrum der Hippie-Bewegung oftmals Schauplatz eskalierender Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den jungen Menschen geworden ist.
Peter Dorn: Auf den Punkt gebracht
Peter Dorn (* 1938 Aussig, heute Ústí nad Labem/Tschechien – 2024 Bamberg) begann seine Laufbahn mit einer Ausbildung in einem Regensburger Werbeatelier, an die er ein Studium der angewandten Grafik an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg anschloss. Seit 1964 arbeitete er als freischaffender Künstler in Regensburg. Eine repräsentative Auswahl seiner Werke schenkte Dorn im Herbst 2023 dem KOG.
Ausgangsmaterial für Dorns Kunst ist unscheinbares, nutzloses Abfallmaterial wie Pappstücke, Durchschläge von Überweisungsträgern oder die Reste eines Ringbuchs. Indem er größere Mengen ähnlicher Teile in eine rhythmische Anordnung bringt, entsteht eine neue Einheit mit ästhetischer Wirkung. Das Plakatmotiv der Ausstellung „Hier und Jetzt“, die Collage „7-7x7“ mit einem Quadrat aus 49 Farbpunkten ist ergänzend zu einer Serie mit jeweils 4x4 Punkten entstanden, die Dorn 2021 als Jahresgabe für den Förderverein des KOG anfertigte. Jedes einzelne Blatt weist jeweils eine andere Kombination der Punkte auf – die Exemplare der Auflage decken einen winzigen Bruchteil der Möglichkeiten ab. Dorn knüpft hier an eine Installation mit 44 Farbmalkästen mit dem Titel „12!“ (2019) an, die er 2021 anlässlich der Verleihung des Kulturpreises der Stadt Regensburg im Vorjahr zeigte. Bei jedem der Malkästen hat der Künstler die zwölf runden Farbtöpfchen anders zusammengestellt, wobei prinzipiell mehr als 479 Millionen Varianten möglich sind.
Die dreidimensionale Installation „Linea“ besteht aus handelsüblichen Holzleisten, die paarweise ineinander gekeilt ein sich wiederholendes Grundelement bilden. Das Gefüge wird für die Präsentation entsprechend den Gegebenheiten des jeweiligen Raumes neu zusammengestellt. In der Ausstellung „Hier und Jetzt“ konnte die Installation dank der Künstlerin Astrid Schröder, der Witwe Peter Dorns, ein elftes Mal aufgebaut werden.
Annette Lucks: „Die Zeichnung / bebildert / wächst musterhaft mit der Zeit …“
Annette Lucks (*1952 Regensburg) studierte an der Akademie der Bildenden Künste in München. Während verschiedener Arbeits- und Stipendienaufenthalte widmete sie sich vertiefend grafischen Drucktechniken sowie insbesondere der Keramikmalerei. In ihren Arbeiten verbindet Lucks Zeichnung, Druckgrafik und Malerei, bezieht aber auch Textfragmente mit ein. Tastend und umkreisend nähert sie sich ihren Motiven, Gefühltes und Erlebtes vereinen sich im vielschichtigen Bildraum. Durch Übermalen, Überzeichnen, Collagieren und Anstückeln entsteht ein komplexes Gewebe, das sich immer wieder zu Erkennbarem verdichtet – meist sind es menschliche Gesichter und Körper.
In der Ausstellung „Hier und Jetzt“ zeigt das KOG erstmals kleinformatige Zeichnungen und Druckgrafiken aus einer früheren Schenkung von Annette Lucks. Dominiert wird die Werkauswahl der Künstlerin von der siebenteiligen Arbeit „Eine Girlande zur Befreiung von Kiew“. Entstanden ist diese 2022 bei einem Aufenthalt in der Galerie Zink in Waldkirchen als unmittelbare Reaktion auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, der sich am 24. Februar 2025 zum dritten Mal jährte. Ihr Kunstwerk versteht Annette Lucks als einen Akt des Handelns: Alles was man tut, schafft neue Tatsachen, auch wenn diese ohne offensichtliche Wirkung bleiben. Dafür stehen die Hände, die sich sowohl auf der Leinwand als auch auf manchen der Keramikobjekte der Installation „Ein Gedeck für Lebende und Tote“ wiederfinden. Diese stellt Lucks der Malerei als Pendant gegenüber. Die insgesamt 22 Tonteller und Gefäße, die Lucks zwischen 2005 und 2018 bemalt hat, hat sie eigens für die Ausstellung arrangiert. Ihre Werke ergänzt sie mit eigenen poetischen Texten.
Alina Buga: Pipelines und andere Querverbindungen
An der Akademie der Bildenden Künste in Bukarest studierte Alina Buga (*1971 Kreis Vrancea/Rumänien) zunächst Skulptur, anschließend Foto-Video und digitale Bildverarbeitung. In dieser Zeit beteiligte sie sich an verschiedenen Kunstaktionen im öffentlichen Raum. Nach Regensburg kam die Künstlerin vor zehn Jahren.
In der Ausstellung „Hier und Jetzt“ präsentiert Buga erstmals ihre neue Fotoperformance-Serie „Pipelines“ (2022-25), die auf dem Motivkontrast von reinem Wasser und kontaminierendem Erdöl basiert. Pipelines (Rohrleitungen) sorgen für Austausch und Verbindung (Energie, Information) – besonders zwischen Ost und West –, transportieren aber auch überkommene Muster von Machtmissbrauch und Ausbeutung, von Konsum und Umweltzerstörung.
Die Donau ist für Alina Buga, die an ihrem Ufer aufgewachsen ist, ein wichtiger Bezugspunkt. Wie eine Schlagader durchzieht der Fluss mit über 1000 Kilometern Länge ganz Rumänien, im Süden bildet er die Grenze zu Bulgarien, im Norden markiert er vor allem die Grenze zur Ukraine. Die Donau ist die Anbindung zum geopolitisch und strategisch wichtigen Schwarzen Meer. Mit ihrer Installation „Relationship Romance“, die Buga eigens für die Ausstellung „Hier und Jetzt“ entwickelte, berührt sie mehrere Themen, die sie bewegen. Mit Kohle geschwärztem, Wachs getränktem Japanpapier konstruiert sie ein mentales Modell des Flusses, das jedoch stellenweise stark an die tatsächliche Landkarte angelehnt ist. Da, wo auf der Karte die Ukraine liegen würde, dringt rote Ölfarbe ein. An anderer Stelle häufen sich schwarze Blasen mit den Kürzeln schädlicher Chemikalien.
Begleitprogramm
Die Ausstellung „Hier und Jetzt“ eröffnet am Freitag, 28. Februar 2025 um 19 Uhr. Das Kuratoren-Team Dr. Sebastian Schmidt, Leiter der Grafischen Sammlung, und Dr. Mona Stocker, Leiterin der Sammlung Gemälde / Skulptur, bietet abwechselnd insgesamt vier kostenlose Mittagsführungen an. Diese finden jeweils mittwochs um 13 Uhr statt. Die Termine sind am 5. März und 19. März sowie am 2. April und 9. April. Außerdem gibt es für die vier Künstlerinnen und Künstlers jeweils eine Veranstaltung, die sich ihrem Part in der Ausstellung widmet. Am Donnerstag, 13. März um 18.30 Uhr, bringt Alina Buga ihre konzeptuellen Ansätze nahe. Annette Lucks spricht am Sonntag, 16. März um 15 Uhr über ihren künstlerischen Prozess. Beide Künstlerinnengespräche moderiert Dr. Mona Stocker. Bei der Kuratorenführung am Donnerstag, 27. März um 18.30 Uhr stellt Dr. Sebastian Schmidt den Fotografen Michael Bry uns dessen Schaffen vor. Als langjährige Begleiterin von Peter Dorn gibt Astrid Schröder, die Witwe des Künstlers und selbst Künstlerin, am Donnerstag, 10. April um 18.30 Uhr, Einblicke in Dorns Lebenswerk.
Ausstellungsinfo
Hier und Jetzt
1. März bis 27. April 2025
kuratiert von Dr. Sebastian Schmidt, Leiter der Grafischen Sammlung, und Dr. Mona Stocker, Leiterin der Sammlung Gemälde / Skulptur
Eröffnung: Freitag, 28. Februar, 19 Uhr, geöffnet ab 18 Uhr
Die Freunde und Förderer des Kunstforums Ostdeutsche Galerie in Regensburg e.V. laden zum Umtrunk ein.
Das Kunstforum Ostdeutsche Galerie bedankt sich bei den Zuwendungsgebern, Sponsoren und Partnern der Ausstellung:
- Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien
- Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales
- Stadt Regensburg
Kulturpartner Bayern 2
PRESSEBILDER
Das Bildmaterial darf ausschließlich für die Berichterstattung über die Ausstellung „Hier und Jetzt“ im Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg genutzt werden. Die Pressebilder stehen während der Laufzeit der Ausstellung vom 1. März bis 27. April 2025 kostenfrei zur Verfügung, sowie drei Monate vor Beginn und sechs Wochen nach Ausstellungsende. Die Bildunterschrift soll komplett dargestellt werden inkl. Copyrightvermerk und Fotograf. Die Nutzung der Abbildungen für Social Media ist ohne Genehmigung nicht zulässig und zudem grundsätzlich kostenpflichtig. Über die gebührenfreie Verwendung der Abbildungen von Künstlerinnen und Künstlern, deren Urheberrechte von der VG Bild-Kunst verwaltet werden, informieren Sie sich bitte zusätzlich unter: http://www.bildkunst.de/vg-bild-kunst/tarife.html bzw. unter info@bildkunst.de.