Bereits während ihres Studiums wandte sich Ewa Partum (geboren 1945 in Grodzisk Mazowiecki bei Warschau/Polen) von der Malerei ab. Während ihrer ersten Performance im öffentlichen Raum 1965 nutzte sie die Leinwand nicht zum Malen, sondern legte sich darauf und zeichnete die Kontur ihres Körpers nach. Der eigene Körper, meist unbekleidet, wurde bei späteren Aktionen und Performances zu ihrem eigentlichen Ausdrucksmittel. Sie deklarierte ihn zum Kunstwerk.
In der Volksrepublik Polen war die Performance- und Konzeptkunst als Alternative zum staatlich vorgeschriebenen sozialistischen Realismus unbekannt. Insbesondere seitens offizieller Stellen blieben Partums konzeptuelle Ansätze oft unverstanden. So wurde sie von der Zensur nicht wesentlich behindert, obwohl sie sich durchaus systemkritisch äußerte. „Ihre Installation „The Legality of Space“, die sie 1971 just am Platz der Freiheit in Łódź verortete, wurde nicht nur stehen gelassen, sondern von der Polizei bewacht – als eine Ausstellung von Verkehrsschildern,“ erklärt Direktorin Dr. Agnes Tieze, die Partums Ausstellung im Kunstforum Ostdeutsche Galerie kuratiert hat. Die Verbotsschilder hatte sich Partum von der Stadt ausgeliehen und ergänzte sie durch selbstgemachte Transparente mit absurden Slogans wie „Verbieten verboten“. Den Passanten ist die Botschaft allerdings nicht entgangen: Partum hatte das Bestreben des Regimes nach absoluter Kontrolle ins Lächerliche gezogen.
Im Jahr 1972 gründete Ewa Partum die Galeria Adres als Plattform, die insbesondere zum Austausch mit anderen Kunstschaffenden diente. Der Name der Galerie – Adresse – verweist auf die Mail Art. Der Kontakt per Post war die einzige Möglichkeit, sich auch über den Eisernen Vorhang hinweg zu vernetzen und sich gegenseitig Werke oder Werkdokumentationen zuzusenden und diese dann zu präsentieren. Ihre Galerie, die sie zwischenzeitig wegen der Zensur in ihre Privatwohnung verlegen musste, nutzte Ewa Partum sowie weitere ähnliche Workshopräume auch für eigene Aktionen und Performances.
Einen Einschnitt brachte die Verhängung des Kriegsrechts in Polen Ende 1981. Die kommunistischen Machthaber reagierten auf den Widerstand der Bevölkerung und das Streben nach Demokratisierung, die von der Gewerkschaft Solidarność ausgingen. Die Staatsleitung übernahm der Militärrat, Armee und Polizei kontrollierten das Land. Die Künstlerschaft, die die demokratische Bewegung unterstützte, geriet in die Illegalität. Ewa Partum widmete der Gewerkschaft 1982 eine eigene Performance „Hommage à Solidarność“. Ansonsten zog sie sich aber in die innere Emigration zurück. Nach mehreren Anläufen gelang es ihr 1982 nach West-Berlin zu emigrieren, wo sie seither lebt und arbeitet.
In Deutschland knüpfte Ewa Partum an ihre Arbeit an. Sie wiederholte frühere Performances, entwarf aber auch neue und beteiligte sich an Ausstellungen. Die Regensburger Präsentation versammelt Kunstwerke sowie Objekte, die Partum während ihrer Performances verwendet hat, Fotomaterial und Filme und macht Partums Schaffen seit den 1960er Jahren bis heute erlebbar.
Partums feministische Kunst
„Ich habe schon 1971 versucht, in meiner Kunst weibliche Akzente zu setzen,“ betont Ewa Partum im Interview, das im Ausstellungskatalog abgedruckt ist. „my touch is a touch of a woman“ steht auf einem Blatt in Schreibmaschinenlettern. Darüber hat die Künstlerin einen Lippenstiftabdruck gesetzt. Die Arbeit von 1971 gehört zu einer Serie, die sie „poem by ewa“ nannte. Seit Mitte der 1970er-Jahre bezeichnete sich Ewa Partum bewusst als feministische Künstlerin.
Wegweisend ist Partums Performance „Change. My problem is a problem of a woman“ von 1974. Vor Publikum ließ sie eine Gesichtshälfte von einer professionellen Visagistin künstlich altern. Partum kritisierte, dass Frauen oft auf ihr Äußeres reduziert werden und ihr Alterungsprozess deshalb mehr Bedeutung hat als bei Männern. Vier Jahre später brachte Partum 600 Plakate ihres hälftig gealterten Gesichts an Plakatwänden in Warschau an. Sie bediente sich der Mittel der Werbeindustrie, um den öffentlichen Raum zu bespielen – zu der Zeit in Polen ein Novum. 1979 ging Partum noch einen Schritt weiter: Nun war es die komplette Hälfte ihres nackten Körpers, die auf „alt“ geschminkt wurde. Nach der zweistündigen Aktion erklärte sie den Zuschauerinnen und Zuschauern, dass sie Zeugen bei der Entstehung eines Kunstwerks waren. Sie kündigte an, dass sie solange nackt auftreten würden, bis Künstlerinnen die Gleichberechtigung mit ihren männlichen Kollegen erhalten.
Das traditionelle, in Polen damals sehr eng gefasste Rollenbild der Frau prangerte Partum 1980 in ihrer Arbeit mit dem Titel „Self-Identification“ an. Es ist eine Serie von fotografierten Alltagssituationen, in die die Künstlerin nachträglich ihren nackten Körper eingefügt hat. Als Aktion im Rahmen der Eröffnung verließ Partum nackt die Räume der Galerie und begegnete auf der Straße einer Hochzeitsgesellschaft, die gerade das benachbarte Standesamt verließ. Zwei Aufnahmen dieser Situation ergänzen die Serie.
Die Institution der Ehe knöpft sich Partum in ihrer Performance „Stupid Woman“ vor, die sie 1981 zum ersten Mal aufführte. Bekleidet nur mit einer Lichterkette forderte sie die anwesenden Männer zu Interaktionen auf – trank mit ihnen, lud sie ein, sie zu berühren, zu küssen oder küsste ihnen selbst die Hände. Sie sang dabei Marcel Duchamps musikalisches Stück „La Mariée mise à nu par ses célibataires même. Erratum Musical“ („Die Braut von ihren Junggesellen nackt, entblößt sogar“, 1912–15). Damit verwies sie auch auf Duchamps gleichnamiges Kunstwerk.
Poesie und Text: Active Poetry und Letters to Milena
Partums „poems by ewa“ waren zugleich der Auftakt zur Auseinandersetzung mit Poesie und Text. Zentral war für sie dabei das Zerlegen von Text. Aktionen mit einzelnen Buchstaben bezeichnete sie als „Active Poetry“, Aktive Poesie. Sie verwendete dabei handelsübliche genormte Großbuchstaben, die an Pinnwänden in Schulen, Fabriken, öffentlichen Gebäuden Propaganda-Schlagworte verkündeten wie „Unsere Partei wird siegen“ oder „Wir führen die Nation zum Sozialismus“. Kurze Filmaufnahmen zeigen Partum, wie sie solche Buchstaben in der Landschaft verstreut, ins Meer wirft, auf dem Boden der Galerie oder auch auf der Straße verteilt. Die Propaganda-Träger sollten vom Wind weggefegt, von den Passanten an Schuhen weggebracht werden und verschwinden – ganz im Sinne Marcel Prousts „Auf den Spuren der verlorenen Zeit“. Um sich von den genormten Großbuchstaben abzusetzen, bevorzugt die Künstlerin bis heute die Kleinschreibung ihres Namens – ewa partum.
Die bekannten weißen Kartonbuchstaben tauchen auch in der jüngsten Arbeit auf, die in Regensburg zu sehen ist – der Installation „Letters to Milena. Franz Kafka (Fragment)“. Partum konzipierte sie 2019 für ihre Ausstellung in der Prager Galerie hunt & kastner. Die Heimatstadt Franz Kafkas inspirierte die Künstlerin dazu, auf seine Briefe an die tschechische Journalistin Milena Jesenská (Prag 1896–1944 KZ Ravensbrück) zurückzugreifen. Aufgehängt an Nylonfäden schweben insgesamt 3.179 Lettern wie eine Wolke in der Luft. Die Anzahl jedes Buchstaben ist dabei genau abgezählt, da sie mit den ausgewählten Textpassagen übereinstimmen.
Partum in Deutschland: Ost-West Schatten
Der letzte Ausstellungssaal präsentiert vor allem Kunstwerke und Performances, die nach Partums Übersiedlung in den Westen 1982 entstanden sind. Zu sehen ist Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werther“ mit Notizen der Künstlerin, die auf das Durchzählen der Buchstaben hindeuten. Als weiße und schwarze Lettern übertrug sie den zerlegten Text auf eine großformatige Leinwand, die neben dem Buch an der Wand hängt. Musikanlage, Schere und Haare stammen von der Performance „Hair Concert (Haarkonzert)“, die Partum für das Berliner Publikum konzipierte und in der Galerie Wewerka aufführte. Stück für Stück schnitt sie sich die Haare ab und ließ sie so lange auf die laufende Platte mit Frédéric Chopins f-Moll Klavierkonzert Nr. 2 op. 21 fallen, bis sich diese nicht mehr drehen konnte. Im Gegensatz zu früheren Performances hatte die Künstlerin nun einen realen Eingriff in ihr Aussehen vorgeführt. Weitere Artefakte verweisen auf die Performance „Pirouette“. Mit Schlittschuhen zerbrach hier die Künstlerin einen Spiegel – ein symbolischer Akt zur Befreiung von Vergangenem, das mit einem verbunden ist, „wie die Spiegelung im Spiegel mit dem Original.“ (ewa partum, 1984).
Die monumentale Fotografie „Ost-West Schatten“ im großen Ausstellungssaal thematisiert die Teilung Berlins. Entstanden ist sie 1984 im Rahmen eines Kunst-Wettbewerbs, den das Mauer-Museum am Checkpoint Charlie ausgeschrieben hatte. Partum hatte mehrere Vorschläge eingereicht. In der Variante, die den zweiten Preis gewonnen hat, kehrt ihr Akt aus „Ost-West Schatten“ vor einem anderen Mauerabschnitt mit Grenzwärterhaus wieder. Partum steht jeweils nackt vor der Berliner Mauer, während die beiden Buchstaben O und W in ihren Händen auf die Teilung Berlins und Deutschlands in Ost und West anspielen.
Lovis-Corinth-Preis
Ewa Partum ist nach Katharina Sieverding, Mechthild Frisch und Magdalena Jetelová die vierte Frau, die mit dem Lovis-Corinth-Preis geehrt wird. Der nach dem bedeutenden Vertreter des deutschen Impressionismus und Vorreiter des Expressionismus benannte Preis wurde vor 50 Jahren von der KünstlerGilde e.V. gegründet. Von 2006 an beteiligt sich das KOG an der Auswahl und Preisvergabe, die ab diesem Jahr im Zweijahresrhythmus erfolgt. Seit 2016 koordiniert das KOG die Auslobung des Lovis-Corinth-Preises allein oder in Kooperation mit wechselnden Partnern.
Ausgezeichnet werden bildende Künstlerinnen und Künstler, deren Schaffen im Bereich Malerei, Grafik, Plastik/Skulptur, Installation, Performance, Fotografie und Neue Medien einen inhaltlichen oder biografischen Bezug zum östlichen Europa aufweist. Mit der Verleihung wird ein international bedeutendes Gesamtwerk gewürdigt, das einen relevanten Beitrag zur Entwicklung zeitgenössischer Ausdrucksformen leistet. Die Kandidatinnen und Kandidaten werden von den Mitgliedern einer Fachjury nominiert.
Die Jury, die Ewa Partum als Trägerin des Lovis Corinth-Preises 2024 gewählt hat, bestand aus folgenden Mitgliedern: Adam Budak, polnischer Kunsthistoriker, ehemals Kurator Nationalgalerie Prag und seit 2020 Direktor der Kestner Gesellschaft, Hannover; Hansjürgen Gartner, KünstlerGilde e.V.; Dr. Sebastian Schmidt, Sammlungsleiter für Grafik, Kunstforum Ostdeutsche Galerie; Univ. Prof. Mag. Eva Maria Stadler, österreichische Kunsthistorikerin, seit 2013/14 Kuratorin für zeitgenössische Kunst, Professorin für Kunst und Wissenstransfer, Vizerektorin für Ausstellungen und Wissenstransfer, Universität für angewandte Kunst in Wien; Dr. Agnes Tieze, Direktorin, Kunstforum Ostdeutsche Galerie.
Eröffnung mit Preisverleihung und Programm
Die Verleihung des Lovis-Corinth-Preises an Ewa Partum erfolgt bei der Eröffnung der Ausstellung am Donnerstag, 16. Mai um 19 Uhr. Die Laudatio spricht Adam Budak, Direktor Kestner Gesellschaft, Hannover. Führungen durch die Ausstellung finden jeweils sonntags um 15 Uhr statt. Ihre Kuratorinnenführung gibt Direktorin Dr. Agnes Tieze am Donnerstag, 11. Juli um 18.30 Uhr. Kostenlose Kurzführungen bietet das KOG an mehreren Mittwoch-Terminen – am 5. und 19. Juni, am 3., 17. und 31. Juli, am 21. August und 4. September, jeweils 13 Uhr. Auch im Rahmen der REWAG-Nächste am Freitag, 2. und Samstag, 3. August gibt es kostenlose Kurzführungen durch die Ausstellung. Das Programm im Kunstzelt greift kindergerecht Ideen von Ewa Partum auf.
Begleitend zur Ausstellung lädt das KOG am Donnerstag, 23. Mai, zu einer Lesung mit Monika Hürlimann ein, die ihren autobiografischen Roman „Mutters Lüge“ vorstellt. Die Autorin verließ ähnlich wie Ewa Partum Anfang der 1980er Jahre das sozialistische Polen. Das Land stand damals unter Kriegsrecht. Die Restriktionen sollten die von der Bewegung Solidarność ausgehenden demokratischen Bestrebungen unterbinden. Hürlimanns Buch bietet ein berührendes Zeitzeugnis. Es stellt Fragen nach Identität, Integration und Heimat. Schließlich deckt die Protagonistin auch das große Familiengeheimnis auf, das auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurückgeht. Die Lesung beginnt um 18.30 Uhr, die Teilnahme ist kostenlos.
AUSSTELLUNGSDATEN
ewa partum
Lovis-Corinth-Preis 2024
17. Mai bis 8. September 2024
Kuratorin: Dr. Agnes Tieze
Die Ausstellung entstand in Kooperation mit Ewa Partum, Berenika Partum und der Galerie Mathias Güntner, Berlin/Hamburg.
Das Kunstforum Ostdeutsche Galerie bedankt sich bei den Zuwendungsgebern, Sponsoren und Partnern der Ausstellung:
- Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien
- Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales
- Stadt Regensburg
- Kulturfonds Bayern Kunst
- REWAG
- Sparkasse Regensburg
- Kulturpartner: BR Bayern 2
Unser Dank geht ebenfalls an das Hotel der Patrizier in Regensburg.
PRESSEBILDER
Das Bildmaterial darf ausschließlich im Rahmen der aktuellen Berichterstattung über die Ausstellung „ewa partum. Lovis-Corinth-Preis 2024“ im Kunstforum Ostdeutsche Galerie genutzt werden. Die Bilder stehen während der Laufzeit der Ausstellung vom 17.5. bis 8.9.2024 kostenfrei zur Verfügung, sowie drei Monate vor Beginn und sechs Wochen nach Ausstellungsende. Die Werke müssen vollständig, also nicht beschnitten und unverändert abgebildet werden. Die Bildunterschrift soll komplett dargestellt werden inkl. Copyrightvermerk. Die Nutzung der Abbildungen für Social Media ist ohne Genehmigung nicht zulässig und zudem grundsätzlich kostenpflichtig. Über die gebührenfreie Verwendung der Abbildungen von Künstlerinnen und Künstlern, deren Urheberrechte von der VG Bild-Kunst verwaltet werden, informieren Sie sich bitte zusätzlich unter: http://www.bildkunst.de/vg-bild-kunst/tarife.html bzw. unter info@bildkunst.de.
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