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Auf den ersten Blick haben die naturfarbenen, in sich ruhenden Objekte von Sieglinde Bottesch (*1938) und die meist bunten, wild in den Raum wuchernden Arbeiten von Bernard Schultze (1915–2005) nur wenige Ähnlichkeiten. Doch im Kern beschäftigt sich sowohl die Künstlerin als auch der Künstler mit den gleichen Themen: Die Prozesse der Verwandlung in der Natur, der ständige Wechsel, Zwischenstadien des Seins, der Kreislauf des Lebens. Der Titel „Wachsen und Vergehen“ ist Ausgangspunkt und Motto der Ausstellung im Kunstforum Ostdeutsche Galerie, die beide Künstlerpositionen gegenüberstellt. Zur Vernissage lädt das KOG am Freitag, 7. Oktober 2022 um 19 Uhr ein. Zu sehen ist die Ausstellung bis zum 8. Januar 2023. Das Begleitprogramm umfasst neben Führungen und Workshops auch zwei Gespräche mit der Künstlerin Sieglinde Bottesch – das erste bereits am 8. Oktober um 11 Uhr.

Die Ausstellung „Wachsen und Vergehen. Sieglinde Bottesch – Bernard Schultze“ lässt zwei markante Künstlerpositionen in einen Dialog treten. Die Grafikerin und Bildhauerin Sieglinde Bottesch (*1938) und Bernard Schultze (1915–2005), der die Stilrichtung des Informel in Deutschland mitprägte. Der gemeinsame Nenner „Wachsen und Vergehen“ bildet einen Rahmen für ein anregendes Wechselspiel zwischen Parallelen und Gegensätzen.

Im großen Ausstellungsaal stehen sich Werke der Künstlerin und des Künstlers gegenüber: Da sind zunächst Botteschs Nahaufnahmen von in sich ruhenden Wesen, vertraut und neuartig zugleich, ausgeführt in sanften Naturtönen. Auf der anderen Seite finden sich Schultzes schrill farbige, organische Strukturen wieder, in denen hin und wieder gegenständliche Details erkennbar werden. Die Bildflächen seiner Gemälde und Grafiken füllen sie zumeist bis zum Rand, bei weiteren Arbeiten wachsen sie als dreidimensionale Elemente über diesen hinaus, um sich schließlich in den sogenannten „Migofs“ im Raum zu verselbständigen.

Obwohl die Form nicht unterschiedlicher sein könnte, nähern sich Bottesch sowie Schultze ähnlichen Themen: dem Kreislauf des Lebens, dem Werden und Vergehen, einem steten Prozess voller Übergänge und Metamorphosen. Beide schöpfen sie aus der eigenen Erfahrung, speisen ihre Vorstellungskraft aus dem Unbewussten und Unterbewussten, folgen dem Fluss ihrer Assoziationen.

Bei Sieglinde Bottesch steht das mystische Erleben der Natur im Vordergrund. Aus diesem heraus entstehen ihre ganz persönlichen Werke, die jedoch zugleich als archetypische Bilder entschlüsselt werden können. Die „Sämereien“ von 2006 gehen auf eine weit in der Vergangenheit zurückliegende Szene auf dem Markt in ihrer Heimatstadt Sibiu (Hermannstadt, Rumänien) zurück. Sie fand hier unterschiedlichste Pflanzensamen, „in sanften Farben in der Sonne glänzend, in Leinen-Säckchen gehüllt, geborgen, geschützt. Schlummernde Wesen: Reife und Neubeginn.“ Mit Ton bildet Bottesch ihr inneres Bild nach – eine subtile Hommage an die natürlichen Lebenszyklen, voller Energie und doch so schutzlos gegen ausbeuterische Rücksichtslosigkeit.

Für Bernard Schultze liegt die Quelle seiner Inspiration im Unbewussten. Die Bilder, die sich während des Schaffensprozesses zufällig ergeben, erinnern nur in Einzelheiten an die reale Welt. In seinen zweidimensionalen sowie auch in seinen plastischen Werken gibt er Einblick in eine alternative Gegenwelt, wo Werden und Vergehen eins werden. Der Mensch und die Natur erscheinen in Fragmenten, die in eine allumfassende Struktur eingehen. Aus dem zerfallenden entsteht Neues –  „Metamorphosen aus dem Zerfall“ lautet bezeichnender Weise der Titel eines Gemäldes von 1973.

 

Sieglinde Bottesch: das Mysterium der Natur

Die Künstlerin Sieglinde Bottesch, geboren 1938 Hermannstadt (heute Sibiu, Rumänien) durchlief während ihrer künstlerischen Laufbahn mehrere Wechsel. Ihre frühen figurativen Arbeiten waren von Paul Klee sowie der Ursprünglichkeit bäuerlicher Kunst und Kinderzeichnungen inspiriert. Ab Mitte der 1970er Jahre rückten alltägliche Dinge und vor allem die Natur in den Mittelpunkt. Entscheidender Einschnitt in Botteschs Leben brachte das Jahr 1987, als sie aus Rumänien nach Deutschland emigrierte. „Ich suchte einen Weg, um mich selbst zu finden, um mich „orten“ zu können. Der Dialog mit der Natur, mit dem Organischen, war ein Weg zu mir selbst,“ blickt sie im Interview für den Ausstellungskatalog zurück.

Es sind häufig die unscheinbaren Momente, in denen sich der Künstlerin die Wunder der Natur offenbaren. Ein besonderes Lichtspiel, eine Form, die ins Auge fällt. Das Beobachten einer verdorrenden Frucht oder eines austrocknenden Stückes Lauch, die eine faszinierende Verwandlung durchlaufen. Die mystische Erfahrung des pulsierenden Lebens, das im eigenen Körper resoniert, wenn man einen Egerling in der Hand hält. Am Anfang steht ein solcher Impuls, doch es geht weiter: „Das Lebendige, mit seinen Daseinsformen, löst Assoziationen aus, die nicht endgültig sind, sondern immer wieder neue Interpretationen zulassen und auch mich selbst einschließen,“ erklärt die Künstlerin. Im Schaffensprozess dringen Bilder aus dem Unterbewussten an die Oberfläche und werden greifbar. So zeichnet sie vielfach nach der gleichen Vorlage - einem ihrer aufbewahrten Fundstücke aus der Natur - wobei jedes Mal andere Aspekte in den Vordergrund treten, mal konkreter, mal abstrakter. Aus einem vertrockneten Apfelstückchen wird ein „Kleinod im Gehäuse“ (2003), das zugleich an weibliche Körperteile erinnert.

Das große „Potenzial der Vieldeutigkeit“ entdeckt Sieglinde Bottesch besonders in dreidimensionalen Objekten. Im Jahr 2000 entsteht ihre erste Skulptur „Manchmal möchte ich mich verstecken“, die an die Hülle eines Meerestieres erinnert. Vertrocknete Kürbisschalen verarbeitete die Künstlerin zur schützenden Schicht für ein Wesen, von dem lediglich eine Art Tentakel zu sehen ist. Das Prinzip der Metamorphose setzt sich in der Verwendung des Materials fort – Pflanzliches und Tierisches gehen fließend ineinander über. Das „Gleichnis“ von 2015 greift die Form einer präparierten Tierhaut auf. Eine Hälfte besteht aus eingefärbtem China-Papier, welches an Pergament erinnert. Die andere Hälfte bildet verdorrtes Gras, das wie Fell aus einer dünnen Erdschicht wächst. Ein weites Feld an Assoziationen eröffnet sich, das auch die Kritik am Umgang des Menschen mit der Umwelt einschließt.

Neben pflanzlichem Material und verschiedenen Arten von Papier formt Sieglinde Bottesch ihre Objekte mit Ton, Gipsbinden oder Keraquick-Masse, gegossen oder in Schichten aufgetragen und mit verschiedenen Teesorten gefärbt. Die endgültige Form entwickelt die Künstlerin während des Modellierprozesses – sie nutzt weder Skizzen noch Vorzeichnungen. Die Oberflächen poliert sie schließlich mit Öl und Wachs, was den Plastiken eine Anmutung verleiht, die an kostbaren Marmor erinnert. Und doch strahlen sie zugleich diese gewisse Wärme aus, die eigentlich nur organischem Material zu eigen ist. Für die Künstlerin selbst ist gerade dieser letzte Schritt der intensivste Augenblick im Schaffensprozess. „Die Oberfläche verwandelt sich in meinen Händen und beginnt zu leben,“ beschreibt sie. „Es ist ein sehr intimer, ich würde sagen, erotischer Prozess.“

 

Bernard Schultze: Labyrinthische Landschaften und Migofs

Bernard Schultze, geboren 1915 in Schneidemühl, Westpreußen (heute Piła, Polen), zählt zusammen mit Karl Otto Götz, Otto Greis und Heinz Kreutz zu den führenden Persönlichkeiten der informellen Kunst in Deutschland. Die vier fanden 1952 in der Künstlergruppe „Quadriga“ zusammen und gehörten zu den ersten deutschen Künstlern, die nach dem zweiten Weltkrieg den Austausch mit der internationalen Kunstszene suchten. Inspirierend war für sie die Auseinandersetzung mit künstlerischen Ansätzen, bei denen der Schaffensvorgang als ein nicht vom Verstand gesteuerter, intuitiver Prozess im Mittelpunkt steht. Für Schultze waren es insbesondere Werke von Jean-Paul Riopelle, eines Vertreters des Action-Painting, sowie Arbeiten von Wols, einem Vorreiter des Tachismus und Informel, die er 1951 in Paris kennenlernte.

In seinen theoretischen Texten betont Bernard Schultze, dass er bereits seit den 1940er Jahren „unter dem Diktat des Unbewussten“ arbeitete. Zunächst verwendete er dicke Farbmasse einerseits und verflüssigte Farbe andererseits und ließ sie sich zufällig über die Leinwand verteilen, die er zunächst horizontal liegend bearbeitete, später wechselte er zu einem vertikalen Malprozess auf der Staffelei. Ähnlich verfuhr er auf dem Papier: Er entwickelte Kritzeleien und Farbflecken weiter, überzeichnete sie, überdeckte Stellen mit Farbe. Das Bild entsteht somit in einer Abfolge von Zufällen. Mit jedem neuen Schritt werden Teile des bereits Bestehenden zerstört und Neues ergibt sich. In der Vielschichtigkeit begründet sich auch die Vielzahl an Deutungsmöglichkeiten. In diesem Sinne spricht Sebastian Schmidt in seinem Katalogbeitrag zur Regensburger Ausstellung von „Momentaufnahmen eines permanenten Entstehungs- beziehungsweise Zerfallsprozesses.“

Betrachtet man Schultzes Werke, kann man sich dem Eindruck von Chaos, Ungreifbarkeit, Überforderung nicht verwehren. Trotz der Vielzahl an Details bleiben sie „nicht zu entziffern in Ahnung von Figürlichem,“ wie er selbst treffend formulierte. In den labyrinthartigen Strukturen fallen immer wieder erkennbare Einzelheiten ins Auge: ein Bein, ein Auge, die Silhouette eines Vulkankraters, eine Felsenspitze. Sie liefern Anhaltspunkte und irritieren zugleich, wenn man sich von ihnen eine Aufschlüsselung erhofft. Ähnlich verhält es sich auch mit Schultzes Bildtiteln wie „Stelzaugen, Gelenke aus Häuserfragmenten“ (1964), „Versteckter Katzenkopf“ (1976), „Klingsohrs Wälder“ (1979), „Ruine im Märchen-Gebirge“ (1980). In seinen Gemälden, Zeichnungen und Aquarellen schafft Schultze künstliche Parallelwelten, in denen Mensch, Tier, Pflanze und Landschaft fließend ineinander übergehen.

Mit seinen „Migofs“, einer von ihm eigens erfundenen und benannten Spezies, verlieh Schultze diesen zwitterhaften Übergangsformen einen dreidimensionalen Körper. Sie sind das Ergebnis von Schultzes Ausweiten der zweidimensionalen Arbeiten ins Räumliche. Durch das Einbinden von Maschendraht, mit Farbe getränkten Textilien und Pappmaché ließ er zunächst die Strukturen über die Bildfläche hinauswachsen. Schließlich verlieh er ihnen selbsttragende Skelette oder Beine, so dass sie entweder an der Wand hängend oder im Raum stehend funktionieren. Ein „Migof-Rendez-vous“ (1963/65) besteht aus einer Leinwand mit plastischen Elementen und dem entfremdeten Torso einer Schaufensterpuppe, der dem Ensemble eine morbide Aufdringlichkeit verleiht. Für Schultze ist diese Puppe ein Symbol der „scheinbar glücklich machenden Verpackungswelt“, ein „normiertes, manipuliertes Schönheitsideal“ (Migof-Reden, 1971). Die Zerstörung ist demnach als ein konsumkritischer Akt zu verstehen. Schultzes Beschreibung des Zerstörungsvorgangs lässt an barocke Bilder der Vergänglichkeit denken: „Mit Stechbeitel, Messer und Zange riss ich die Oberfläche auf, ließ Tentakel, Wülste, Krebsgeschwüre daraus wachsen, in giftig-ekligen Farben, Übergänge von Menschen zu blühendem Kadaver.“ (Kunstmagazin, 1980) Verfall und Zerstörung nimmt man an erster Stelle wahr, was auch mit Schultzes traumatischen Kriegserfahrungen als Soldat im Zweiten Weltkrieg korrespondieren mag.

 

Begleitprogramm

Die Ausstellung wird am Freitag, 7. Oktober um 19 Uhr eröffnet. Am Samstag, 8. Oktober, lädt das Kunstforum Ostdeutsche Galerie um 11 Uhr zum Künstlerinnengespräch mit Sieglinde Bottesch ein. Eine weitere Gelegenheit, die Künstlerin kennenzulernen und mehr über ihre Werke zu erfahren, haben die Besucherinnen und Besucher bei einem zweiten Gespräch am Sonntag, 4. Dezember um 11 Uhr. Führungen mit den beiden Kuratoren der Ausstellung, Dr. Agnes Tieze und Dr. Sebastian Schmidt, gibt es am 13. Oktober und 3. November (Dr. Schmidt) sowie am 24. November und 15. Dezember (Dr. Tieze). Alle Termine starten um 18.30 Uhr. Kurzführungen finden am Mittwoch, 12. Oktober, 26. Oktober, 9. November, 23. November, 7. Dezember, 14. Dezember und 4. Januar, jeweils 13 Uhr statt. Sonntags werden jeweils um 15 Uhr Führungen angeboten. Das Programm rundet ein kreatives Angebot an Workshops für Kinder, Jugendliche und Erwachsene ab.

 

AUSSTELLUNGSDATEN

Wachsen und Vergehen
Sieglinde Bottesch – Bernard Schultze

8.10.2022. bis 8.1.2023

Kuratorin/Kurator: Dr. Agnes Tieze, Direktorin, und Dr. Sebastian Schmidt, Leiter der Grafischen Sammlung

Das Kunstforum Ostdeutsche Galerie bedankt sich bei den ZuwendungsgeberInnen und den SponsorInnen der Ausstellung:

Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien

Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales

Stadt Regensburg

REWAG Regensburger Energie- und Wasserversorgung AG & Co KG

Sparkasse Regensburg                                                          

Herzlicher Dank gebührt dem Kulturpartner BR 2.

 

PRESSEBILDER

Das Bildmaterial darf ausschließlich im Rahmen der aktuellen Berichterstattung über die Ausstellung „Wachsen und Vergehen. Sieglinde Bottesch – Bernard Schultze“ im Kunstforum Ostdeutsche Galerie genutzt werden. Die Bilder stehen während der Laufzeit der Ausstellung vom 8.10.2022 bis 8.1.2023 kostenfrei zur Verfügung, sowie drei Monate vor Beginn und sechs Wochen nach Ausstellungsende. Die Werke müssen vollständig, also nicht beschnitten und unverändert abgebildet werden. Die Bildunterschrift soll komplett dargestellt werden inkl. Copyrightvermerk von Sieglinde Bottesch bzw. der VG Bild-Kunst. Die Nutzung der Abbildungen für Social Media ist ohne Genehmigung nicht zulässig und zudem grundsätzlich kostenpflichtig. Weitere Infos zur gebührenfreien Verwendung der Abbildungen von Bernard Schultze, dessen Urheberrechte von der VG Bild-Kunst verwaltet werden, informieren Sie sich bitte unter: http://www.bildkunst.de/vg-bild-kunst/tarife.html bzw. unter info@bildkunst.de.

Die kompletten Bildunterschriften finden Sie in der beigelegten Datei "3_Pressebilder_Wachsen und Vergehen".
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Wachsen und Vergehen. Sieglinde Bottesch – Bernard Schultze

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